JEDER
HUND KANN BEISSEN, es ist letztlich immer nur eine Frage, wann und unter
welchen Voraussetzungen. Entscheidend dafür ist die sogenannte
Beiß-Schwelle. Diese Schwelle liegt bei jedem Hund woanders. Diese hängt
von verschiedensten Faktoren ab und lässt sich oft für den unerfahrenen
Halter gar nicht ermitteln/erkennen.
Ich vergleiche ungern mit
menschlichen Eigenschaften, aber auch wir sind doch, was Reizschwellen
betrifft, sehr sehr unterschiedlich. Es gibt aber so gut wie niemanden
auf der Welt, der niemals sauer oder böse wird. Es wird kaum jemanden
geben, den man endlos reizen kann, ohne dass er jemals wütend wird und
vielleicht auch mal im Streit laut wird. Ist er aber nun deshalb
generell ein böser Mensch?
Mir geht es darum, einmal klar zu
machen, dass es nicht „böse Hunde“ sind, die beißen, sondern letztlich
jeder von unseren Hunden tagtäglich aus bestimmten Gründen die
Beißschwelle übertreten könnte, weil einfach mehrere Faktoren zusammen
kommen.
Beispiel:
Sherlock ist nicht sehr gut auf Kinder
sozialisiert, weil wir keine haben. Sherlock ist rassebedingt etwas
territorialer veranlagt, als vielleicht ein Golden Retriever. Sherlock
ist ein sehr begeisterter Bällchenspieler und Bällchenbesitzer. Sherlock
mag es nicht, wenn rumgekläfft wird.
Es kommt nun ein Kind mit
2 kleineren Geschwistern und seinem Hund in unseren Garten, der Hund
ist ein Kläffer und die Kinder wollen alle mit 5 Spielzeugen
gleichzeitig mit meinem Hund spielen. Totale Stress-Situation für
Sherlock. Ich habe vielleicht gerade mehr Lust, mit der Mutter der
Kinder Kaffee zu trinken und merke nicht, wann die Situation kippt bzw.
versäume es, von vorne herein Spielregeln aufzustellen.
Sherlock merkt, ich helfe ihm nicht. Er zieht sich zurück, versucht, die
Spielzeuge in Sicherheit zu bringen, aber die Kinder finden das
Versteckspiel lustig, der Kläffer rennt die ganze Zeit bellend um die
Gruppe herum, Sherlock fährt ein paar Mal knurrend und Lefzen ziehend
auf den Hund los und irgendwann schnappt Sherlock zu. Kind oder den
anderen Hund. Er ist ein großer Hund, da ist schnell ne große Verletzung
da. Oh Schreck, das hat er ja noch nie gemacht, und das, obwohl er ja
soooo ein Lieber ist.
Diese Geschichte ist frei erfunden, das
Beispiel könnte sich aber genau so zutragen, da Sherlock bereits zwei
mal Kinder angeknurrt hat, die ihn zu lange nerven durften, was ganz
alleine MEINE Schuld war.
Was ist nun in meiner Geschichte
passiert? Es hatten sich genau die Faktoren addiert, die irgendwann zum
Erreichen der Knurrschwelle führen und dann braucht es vermutlich nicht
mehr sehr viel, dann wird auch gebissen.
Man muss sich das so
vorstellen, als hinge da oben eine Leine, bei der wird geknurrt. Darüber
hängt die Beißleine. Und ich stelle immer einen Stuhl auf den anderen,
der jeweils den Namen dessen trägt, worauf mein Hund nicht so gut kann.
Nur ein Kind, kein Problem. Weit von der Schwelle weg. Aber der Stuhl
steht da. Mehrere Kinder, auch noch unproblematisch, so lange es nicht
zu wild wird. Zweiter Stuhl steht auf dem ersten. Mehrere Kinder, die
Spielzeug wegnehmen, naja, so langsam wird es etwas viel. Der Stühleturm
wächst. Das ganze Szenario dann noch im eigenen Territorium mit fremdem
Hund darin, der auch noch kläfft… die Zeitspanne wird zu lang und es
knallt. Die Stühle stapeln sich über die Knurrleine bis hin zur
Beißleine… und so wurde eine wesentliche Schwelle ungewollt
überschritten.
Möchte das einfach nur mal für alle zu bedenken
geben, speziell für Hundehalter, die Hunde besitzen, deren Vergangenheit
sie nicht kennen. Man kennt nicht jeden „Stuhl“, der vielleicht in
einer speziellen Situation plötzlich da steht, ohne dass man ihn
bemerkt. Man ist abgelenkt oder einfach im Lesen des Hundes nicht so
geschult, dass man den Stress erkennt und bemerkt, wann es einfach
reicht, wann man eine Situation dringend regeln oder beenden müsste. Und
dann haftet der Makel des bösen Hundes an unserem Tier und den wird man
lebenslänglich nicht mehr los…
(c) Anja Leibfried
frei interpretiert aus dem Buch: „Hunde sind anders“ von Jean Donaldson
Jeder Hund kann Beißen
13.01.2020 von Tierheim Team